Ich bin ein Schaf. Nein, kein Scherz! Das ist eine wichtige Rio-Erkenntnis. Schafe sind Herdentiere und sie gewöhnen sich gut an ihre Umgebung, blöken nach den anderen Schafen. Ich bin so ein Schaf. Ein Journalisten-Schaf. Eines, das sich gewöhnt hat. An die Kasernen-Umgebung – die ganz blumig ‘Villa Verde’ heißt, an die Kasernen-Unterkunft mit der Kasernen-Dusche, und auch an das Kasernen-Essen. Inzwischen empfinde ich mein Bett als gemütlich und meine Dusche als Luxus. Immerhin rinnt täglich warmes Wasser aus ihr hervor.
Sogar an das Haare-Waschen habe ich mich gewöhnt. Klingt vielleicht komisch, ist aber so. Denn jedesmal wenn ich es geschafft habe, das Shampoo aus meinen Haaren zu waschen und Balsam einschäume, wird das Wasser kälter und kälter. Immer schneller versuche ich also meine Haare idealerweise noch mit halbwegs warmem Wasser von dem Balsam freizubekommen und ende dennoch jedesmal zähneklappernd unter eiskaltem Wasser. Den Balsam wegzulassen hab ich versucht, doch dann ähnelt das Gewirr auf meinem Kopf eher einem Vogelnest als Haaren. Das Wasser während dem Einseifen abzudrehen hab ich auch versucht. Hat mir gefühlte zwei Sekunden mehr Warmwasser und Shampoo in den Augen eingebracht, weil ich den Duschhahn nicht mehr gefunden habe. Am Ende war das Wasser dennoch kalt und ich wieder zähneklappernd. Inzwischen kann ich auch den Wasserhahn quasi ‘blind’ finden. Finde alles mit geschlossenen Augen. Man gewöhnt sich ja. Schaf eben…
Eine Briefbotschaft und ein Untergebrachter
Gestern hab ich einen Brief bekommen. Schön gefaltet lag er am Boden, wohl von jemandem unter der Türe des Appartements (ich will es so nennen, es klingt schön, modern und groß – auch wenn wir inzwischen alle wissen, dass es das nicht ist) durchgeschoben. Der Brief war keine Einladung zum Abendessen eines brasilianischen ‘Sunnyboys’, was vielleicht schade, aber – in Anbetracht der vielen Sicherheitsprobleme hier – wohl besser ist. Nein, es war eine Warnung. Wir sollten unsere Wertsachen in den Safe sperren. Nach Schuss-Attentaten, geklauten Kameras, entwendeten Laptops, attackierten Presse-Shuttles, verirrten Maschinengewehrkugeln, gesprengten Koffern ist die Kriminalität nun wohl auch in unserer ‘safen’ Unterkunft angekommen. In der ‘Villa Verde’ wurde offensichtlich gestohlen.
Gewarnt zu werden hat Vorteile: man ist gewarnt ;-), man kann vorbereitend handeln oder nichts tun, dann ist man selber Schuld. Deshalb hatte ich auch gleich am Tag meiner Ankunft vor 2 Wochen versucht, meine Wertsachen (Festplatte, Handy, Zahnbürste) in den Safe zu sperren, der in jedem Zimmer jeweils in einem der Schränke untergebracht ist. Ihr hört schon richtig! Untergebracht. Denn nicht nur Lebewesen können untergebracht werden, sondern auch Safes. Das trifft dann zu, wenn Safes weniger als 1 kg wiegen und man diese mit einem Griff – quasi unter dem Arm – aus dem Zimmer hinaustragen kann. Dies stellt zwar wiederum den Sinn eines Safes in Frage, aber dieser Frage nachzugehen hilft einem hier in Rio auch nicht weiter. Mein Safe ist so ein Untergebrachter. Und er ist ein Versperrter. Er war schon bei meiner Ankunft versperrt. Bis heute konnte ihn niemand öffnen…. Deshalb steht meine Zahnbürste noch immer im Zahnputzbecher. Schade. Sie wäre gerne als Wertsache im Safe gewesen.
Styropor in Rio ist einfach geil
Ja, ich weiß wovon ich spreche. Und nein, ich bin keine Umweltverschmutzerin. Aber mein Styroporbecher ist einfach geil und das kommt so: beim Kasernen-Frühstück und im Presseoffice bekommen wir Kaffee. Der hat eine wundersame Wandlung durchgemacht, denn anfangs schmeckte er scheußlich, jetzt schmeckt er ganz passabel. Also sind entweder die Kaffeeköche bessere Kaffeeköche geworden, oder – und daran wage ich kaum zu denken, weil dann das Schaf in mir wieder aktiv wurde – ich habe mich daran gewöhnt. Jedenfalls bekommen wir den Kaffee in riesengroßen, kübelähnlichen Kaffeespendern und zum Entnehmen haben wir Plastikbecher, die so dünn sind, dass man entweder gleich fünf auf einmal nimmt, oder sich die Finger freiwillig verbrennt. Deshalb ist mein Styroporbecher einfach geil. Den gibt’s aber nur beim Frühstück und so schwindle ich ihn jeden Tag aufs neue vom Frühstück in den Bus und vom Bus durch die Sicherheitsschleuse und dann ins Presseoffice und bin glücklich. Weil die Finger kalt sind und der Kaffee länger heiß ist. So einfach ist das hier in Rio.
Die Rio-Akkreditierung und ich
Wir haben uns inzwischen an die Abläufe gewöhnt: IMMER die Akkreditierung tragen. Ich habe mit ihr schon gearbeitet, gegessen, getrunken, einen Ausflug gemacht, bin mit ihr Bus gefahren und auch auf der Toilette kommt sie mit. Das dient der Beziehungsförderung zwischen der Akkreditierung (einem riesigen, in Plastik eingeschweißten Ausweis, den ich an einem grünen Rio-Band am Hals hängen habe) und mir. Die Akkreditierung und ich sind beste Freunde. Bis heute.
Da war Schluss mit der Freundschaft! ‘Not accepted’ ist da gestanden. In fettem ROT. An der Sicherheitsschleuse. Die Security hat sich zu unserer Sicherheit was Neues ausgedacht und scannt nun die Codes auf allen Ausweisen. Ich bin auf einmal ‘not accepted’, was ‘draußen bleiben’ heißt. “Was soll das?”, deute ich dem bewaffneten Security. “Dein Ausweis ist ungültig”, deutet er zurück und mit einem Wink auf den wartenden Richter hinter mir, der ja auch hinein will, zeigt er: ‘Nächster!”. Ich werde böse. Böse macht mutig. “Hallo, was soll das?”, deute ich in reinster brasilianischer Gestikulation mit englischer Untertitelung. “Ich bin hier jeden Tag drin, ich muss arbeiten!” Er schaut mich an, verzieht keine Miene. Der Richter ist auch ‘not accepted’. Nun kommt ein Sportler an die Reihe. Auch er darf nicht rein. Die Warteschlange wird immer größer. Ich immer ärgerlicher. Deute den Securities, dass ich ‘not amused’ bin. Ist ihnen wurscht. Inzwischen haben sie sich aber Hilfe geholt. Die Hilfe ist ein Bär von einem Mann in bunter Rio-Kleidung und er spricht gebrochenes Englisch. Halleluja! Währenddessen wird die Schlange zum Securitycheck immer kleiner und die Gruppe mit ‘not accepted’ rund um mich immer größer. Komisch, dass ich mich da gleich wohler fühle. Ich bin nicht alleine, nicht mehr ausgestoßen – aus der Herde. Und wieder bin ich ein Schaf. Der bunt gekleidete Rio-Bär-Mann hilft uns. Der Scan wird abgebrochen, wir dürfen rein. Die Herde geht durch die Schleusen und ist wieder im Olympic Equestrian Center von Deodoro angekommen. Hier dürfen wir frei laufen…
Apropos Sicherheitsschleusen
Ich habe ernsthaft überlegt ob ‘unserer’ Security und den schwer bewaffneten Soldaten langweilig ist, oder sie uns Aufgaben zur Intelligenzförderung stellen wollen. Denn Hirne rosten ein, wenn man sie nicht beschäftigt. Ganz nach dem Motto ‘die Schafe sind ja gewohnt links zu gehen, jetzt schicken wir sie rechts’, werden die Checks täglich gewechselt. Einmal müssen wir Frauen links, die Männer rechts. Kaum haben wir das gecheckt und steuern am nächsten Tag wieder die passende Seite an, ist das schon wieder falsch. Heute müssen wir Frauen rechts und die Männer links. Lediglich, dass wir Frauen von weiblichen Soldaten gecheckt werden bleibt gleich – die Männer bekommen Männerchecks bei der Kontrolle. Meine Intelligenz ist dadurch unheimlich gewachsen. Das finde ich toll. Beim Aussteigen aus dem Bus sehe ich schon, wo die Frau Soldat steht und gehe ohne Kommando in die richtige ‘Lane’. Was für ein Erfolgserlebnis…
Grüße aus Rio
vom Ruth-Schaf
Ruth’s Rio Blogs:
01: Welcome to Rio mit ziemlich vielen Hindernissen…
02: Vom Brotalltag, dem Obstversuch und der Kugel im Dach…
03: Von Nervenflattern, Klogesprächen und der Drohne mit Schuss…
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