Vielseitigkeit – Die Vielseitigkeitsweltmeisterschaft in Pratoni del Vivaro (ITA) ist Geschichte. Zeit ein Resümee zu ziehen! Equipechef und Vielseitigkeits-Referent Thomas Tesch hat für uns die Einzelleistungen der österreichischen Reiter:innen analysiert, über die Championatsbedingungen und die Zukunft in Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris gesprochen.
Für das Team Österreich war die WM in Pratoni durchwachsen. Durch den Ausfall von Robert Mandl hatten wir von vornherein kein Streichergebnis und durch das Ausscheiden von Katrin Khoodam-Hazrati im Gelände, kam kein Mannschaftsergebnis zustande. Was für ein Resümee kannst du als Chef d’Equipe und als Bundesreferent ziehen?
Thomas Tesch: “Es war eine durchwachsene Woche mit allen Hochs und Tiefs, die man bei einer solchen Veranstaltung erleben muss. Eine Weltmeisterschaft findet nur alle vier Jahr statt und da sind die Nerven natürlich deutlicher angespannt, als bei einer “normalen” Veranstaltungen. Darüber hinaus sind natürlich auch die Mannschaften aus Übersee vor Ort, die man – außer bei Olympischen Spielen – in einem Mannschaftsbewerb kaum unter dem Jahr dabei hat und so sind Spekulationen über deren Perfomance immer schwierig.
Wie waren die Bedingungen am Turniergelände in Italien für Pferd und Reiter? Kannst Du die Kritik an der Geländestrecke verstehen bzw. teilen?
Thomas Tesch: “Die Dressur- und Springplätze, sowie die restliche Infrastruktur, waren in hervorragendem Zustand und auf Topniveau. Hinsichtlich der Geländestrecke hätte es auch einmal weniger auf den Berg hinauf gehen können und es hätte noch immer gereicht. Die Strecke war insgesamt sehr kurvig und oft kantig zu reiten, was bei einem derartig großen Areal nicht ganz nachvollziehbar war. Eine Dekoration der Hindernisse, wie man sie bei einer Weltmeisterschaft erwartet, war praktisch nicht vorhanden. Der Boden in Pratoni ist auf Grund des Vulkansandes sehr speziell, wir hätten uns aber gewünscht, dass der Boden teilweise in einem besseren Zustand gewesen wäre, was sicherlich mit den trockenen Wetterverhältnissen über den sehr heißen Sommer zu tun gehabt hat. Dennoch wünscht man sich bei einem so großen Championat eine optimalere Bodenvorbereitung.
Etwas enttäuschend war der Umstand, dass es keine Eröffnungsfeier für die Reiter:innen gegeben hat. Ich kann mich an kein Championat erinnern, bei dem es einen solchen “Einzug der Nationen” nicht gegeben hätte. Stattdessen wurden ausschließlich die Equipechefs per Bus auf den Rocca di Papa gebracht, dort wurde der Nations Draw mit ca. 2000 Zuschauern gemacht und nach 30 min ging es wieder mit dem Bus retour auf den Turnierplatz. Ich denke, dass sich die Reiter:innen einen würdigen Auftritt im Rahmen einer Eröffnungsfeier bei einer Weltmeisterschaft verdient hätten, ein Abendprogramm am Turnierplatz war praktisch nicht vorhanden.”
Die Einzelleistungen speziell von Harald Ambros mit seinem unerfahrenen Mountbatton und unserer WM-Debütantin Lea Siegl beeindruckten. Wie kann man diese Performance einschätzen?
Thomas Tesch: “Am Ende des Tages ist uns allen bewusst, dass ausschließlich die reinen Fakten auf einer Ergebnisliste für Außenstehende von Bedeutung sind. Es gibt aber viel mehr, was hinter den Ergebnissen steckt, was man würdigen sollte und grundsätzlich einen sehr positiven Ausblick auf die Zukunft gibt.
Katrin (Anm. der Redaktion: Khoddam-Hazrati) und Oklahoma sind in einer guten Form und ist Oklahoma grundsätzlich ein sehr verlässliches Gelände- und Springpferd. Es ist immer wieder erstaunlich, wie dieses sehr kleine Pferd sein Herz ins Rennen wirft und alle Hindernisse, über die sie teilweise nicht einmal drüber sieht, angreift. Auf Grund ihrer Größe ist es aber auch schwierig den vorgegebenen Galoppsprung immer passend zu reiten und muss man hier als Reiterin sehr variieren und flexibel sein, vor allem wenn es sich um Kombinationen handelt die nach unten führen. Man muss in einer Hundertstel eine Entscheidung treffen und es kann sich herausstellen, dass diese Entscheidung im Moment einmal falsch war, aber das gehört zum Sport. Die Dressur ist sicherlich eine herausfordernde Disziplin für Oki, aber hier hat sie sich ruhig und gelassen gezeigt, vielleicht einen Tick zu ruhig, dennoch war es eine ordentliche Vorstellung, die gerne auch von den Richtern mit etwas höheren Punkten bewertet hätte werden können.
Harald (Anm. der Redaktion: Ambros) und Mountbatton sind in einer aufsteigenden Form. Wenn man bedenkt, dass vor drei Jahren alle (inklusive mir) gesagt haben, dass sein Vorhaben mit diesem Pferd unmöglich ist, ist es eigentlich ein Wahnsinn in welcher kurzer Zeit Harald Mountbatton auf einen Stand gebracht hat, der es ermöglicht hat, dass beide bei der WM derartig gut mit allen Aufgaben zurechtkommen. Sicherlich, die 20 Fehlerpunkte am letzten (!) Sprung, sind mehr als ärgerlich und sollte eigentlich nicht passieren, aber den Rest haben beide in einer beeindruckenden Manier absolviert. Auch in der Dressur lagen beide in der Trabarbeit, was eindeutig die Stärke von Mounty ist, bei 28 Fehlerpunkten. Im Galopp hat es dann etwas nachgelassen und waren drei Galoppwechsel nicht ideal, aber auch nicht total verhaut. Im Springen hätten es zwei Stangen weniger sein können, aber hier hat Harald auch Nerven gezeigt und sich zwei Mal vertan. Jetzt heißt es über den Winter die Dressur und Springen zu festigen, dann wird dieses Paar noch viele schöne Erfolge für Österreich erzielen.
Lea (Anm. der Redaktion: Siegl) und Fighting Line haben eine sehr gute Performance bei ihrer ersten WM abgeliefert. Man konnte deutlich sehen, dass beide, Reiterin und Pferd, ihre Erfahrungen bei großen Veranstaltungen ausspielen konnten. Sicherlich, in der Dressur wären vielleicht ein paar Punkte mehr drinnen gewesen und das Springen verlief nicht ganz nach Leas Wunsch. Es besteht also noch Luft nach oben, aber alle Pferde die schnell im Gelände gelaufen sind, mussten im Springen mehr Fehler als gewohnt hinnehmen. Darüber hinaus muss man aber auch sagen, dass der Parcours, was die technischen Anforderungen und Länge betrifft, auf dem Maximum war. Neben Lea hat es viele im Parcours erwischt, auch die Nummer 1 der Welt musste vier Abwürfe hinnehmen. Jedenfalls aber muss man festhalten, dass Lea und Fighty top in Form sind.”
Neben den drei WM-Teilnehmer:innen gibt es daheim auch einige weitere vielversprechende Reiter:innen. Wie sieht die Zukunft des österreichischen Vielseitigkeits-Teams aus, speziell im Hinblick auf die Saison 2023?
Thomas Tesch: “Wir verfolgen die längste Zeit einen Plan. Einflüsse von außen muss man so gut wie möglich ausblenden können und sich nicht beirren lassen, dies gilt für die Reiter:innen als auch für mich im Speziellen. Dabei muss man aber auch in Kauf nehmen, dass sich manche Kurzzeitziele vielleicht anders als gewünscht entwickeln. So lange aber alle an einem Strang ziehen und das Langzeitziel nicht aus den Augen verlieren, ist es ein ständiger Prozess der Weiterentwicklung.
Lea, Harald und Katrin sind doppelt, teilweise dreifach, beritten, mit Pferden die bereits zahlreiche Erfahrungen um 4* Bereich haben. Wenn alles gut läuft, sind auch Robert Mandl und Rebecca Gerold nächste Saison wieder einsatzbereit. Dazu kommen Daniel Dunst und Lisa Held, ebenso will sich auch Roland Pulsinger im 4*-Bereich etablieren.
Somit sind wir – wenn alles gut läuft – nicht ganz schlecht aufgestellt für die nächste Saison. Das Wichtigste ist aber immer, dass die Pferde gesund bleiben und auch wenn es einmal eine leichte Verletzung gibt, diese ordentlich auskuriert wird, damit alle wieder in der kommenden Saison auf die teilweise langen Reisen gehen können. “
Bei den Olympischen Spielen 2020 (2021) konnten wir zwei Einzelreiter:innen entsenden. Jetzt stehen mit Paris 2024 die nächsten Spiele vor der Türe. Wie sieht es qualifikationstechnisch aus?
Thomas Tesch: “Glücklicherweise haben sich in Pratoni zahlreiche europäische Mitkonkurrenten bereits für Paris qualifiziert, die im weiteren Qualifikationsprozess nicht mehr zählen. Derzeit sieht es so aus, als würden neben Österreich noch Belgien, Italien und Spanien um diese drei Plätze in der kommenden Saison kämpfen. Aus österreichischer Sicht stehen die Chancen einen begehrten Team-Platz zu bekommen in dieser Olympiade besser, als bei Spielen zuvor und sind wir zuversichtlich, wenn alle in der kommenden Saison wieder einsatzbereit sind, auch diejenigen, die nun krankheitsbedingt ausgefallen sind und diejenigen, die in den 4* Kader aufsteigen werden.
Die maximal 2 Einzelstartplätze für AUT werden – sollte eine Teamqualifikation nicht möglich sein – über die olympische Gruppe B vergeben. Wer in der Saison 2023 die meisten Olympischen Punkte erritten hat, bekommt einen Startplatz, wobei hier auch die Reiter_innen bereits wegfallen, die sich schon mit dem Team für die Olympischen Spiele qualifiziert haben. Auch hier wird der Wettstreit zwischen Österreich, Belgien und Spanien ausgetragen werden.”
Weiterführende Links:
>> EQWO.net.News: Überraschendes WM-Gold für Britin Yasmin Ingham, Lea Siegl auf Rang 25
>> EQWO.net-News: Pratoni: Deutschland übernimmt die Führung, Österreichs Team out, Lea Siegl auf Rang 22
>> EQWO.net-News: Pratoni: Sensationelle Dressur von Michael Jung, Lea Siegl in den Top-30
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