Statement zur Änderung der Blood-Rule: Ein fatales Signal in der Krise des Pferdesports
Der Pferdesport steht an einem Scheideweg – und die geplante Lockerung der Blood-Rule durch die FEI könnte zum Sargnagel für seine ohnehin schwindende gesellschaftliche Akzeptanz werden.
Ein Kommentar aus der Sicht der Kommunikations- und Marketingexpertin Ruth M. Büchlmann.
Die Ausgangslage: Ein Sport in der Defensive
Ich verstehe die Sicht der Reiter:innen, doch seien wir ehrlich: Der Pferdesport hat in den letzten Jahren dramatisch an Boden verloren. Was einst als prestigeträchtige Disziplin galt, findet heute zunehmend hinter verschlossenen Türen statt – in elitären Zirkeln, fernab der breiten Öffentlichkeit. Die Zuschauerzahlen schwinden, junge Menschen interessieren sich immer weniger für Springreiten oder Dressur, und die mediale Aufmerksamkeit beschränkt sich oft auf Negativschlagzeilen.
Organisationen wie die PETA haben jahrelang systematisch auf Missstände hingewiesen: Rollkur, blutige Mäuler, überzogene Spornanwendung, Unfälle im Vielseitigkeitssport. Und was war die Antwort des organisierten Pferdesports? Schweigen. Abwiegeln. Hilflosigkeit. Keine von der FEI koordinierte Gegenkampagne, keine proaktive FEI-Imagekampagne, keine Öffentlichkeitsarbeit, die moderne Trainingsmethoden und Tierschutzstandards in den Vordergrund stellt. Keine Hilfe für die gehateten Reiter:innen, Züchter:innen, dafür Textschlachten auf Social Media und unzählige Bilder und Videos auf allen Social-Media-Kanälen – weltweit.
Die Blood-Rule: Das letzte sichtbare Zeichen von Konsequenz
Die Blood-Rule war eines der wenigen Regelwerke, das nach außen signalisierte: Wir nehmen den Tierschutz ernst. Blutet ein Pferd, ist Schluss – keine Diskussion. Diese Null-Toleranz-Politik war für die Öffentlichkeit verständlich, nachvollziehbar und vermittelbar. Selbst Nicht-Reitern leuchtete ein: Ein blutendes Pferd hat im Wettkampf nichts verloren. Wir achten auf unsere Pferde. Wir zeigen uns, trotz dem Kampf um Spitzenplätze und Medaillen am Rücken unserer Pferde, verantwortlich.
Jetzt soll diese Regel aufgeweicht werden. Die Begründung mag aus sportfachlicher Sicht nachvollziehbar sein – nicht jede Blutung bedeutet automatisch Misshandlung, kleine Verletzungen können auch zufällig entstehen, und dass aufgrund dieser Regel auch eine minimal blutende Schürfwunde oder ein blutender Insektenstich eine Medaille verhindern kann, weil man abgeläutet wird oder nicht starten darf, ist bitter.
Die FEI-Argumente: Scheinlogik statt Klarheit
Die FEI argumentiert, die vom International Jumping Rider Club (IJRC) angestoßene Änderung sei sogar tierschützender – schließlich würde nun jedes Pferd von einem Tierarzt untersucht, was eine differenziertere Beurteilung ermögliche.
Doch seien wir ehrlich: Menschen sind steuerbar – Druck, Interessenkonflikte und die Atmosphäre eines Championats sind real. Und selbst bei bestem Willen bleibt die Subjektivität: Wann ist eine Blutung „geringfügig“, wann nicht? Genau das war die Stärke der bisherigen Blood-Rule: Sie war unumstößlich. Schwarz oder weiß. Keine Grauzone, keine Interpretation, keine Diskussion. Blut bedeutete Disqualifikation – für jeden verständlich, für niemanden verhandelbar. Jetzt führen wir Ermessensspielräume ein, wo vorher Klarheit herrschte. Das mag differenzierter sein. Besser für die Sportler:innen. Glaubwürdiger ist es nicht.
Die katastrophale Außenwirkung
Hier liegt auch das fundamentale Problem: Der Pferdesport denkt in Binnenlogik, während die Öffentlichkeit in Bildern denkt.
Auswirkung auf das öffentliche Ansehen
Für die breite Öffentlichkeit ist die Botschaft glasklar: Der Pferdesport lockert seine Tierschutzstandards. In einer Zeit, in der gesellschaftliche Sensibilität für Tierrechte auf einem Allzeithoch ist, in der Zirkusse mit Tieren verboten werden und vegane Ernährung Mainstream ist, sendet diese Regeländerung ein desaströses Signal.
Die Schlagzeile wird nicht lauten: „FEI differenziert Blood-Rule wissenschaftlich“. Sie wird lauten: „Pferdesport erlaubt jetzt blutige Pferde im Wettkampf“.
Das Sponsor-Dilemma
Sponsoren sind zunehmend ESG-getrieben (Environmental, Social, Governance). Ihr Engagement wird danach bewertet, ob es nachhaltig, ethisch und gesellschaftlich verantwortungsvoll ist. Große Marken wie Rolex oder Longines, die den Pferdesport noch unterstützen, tun dies unter wachsendem Rechtfertigungsdruck.
Eine Aufweichung der Blood-Rule liefert Tierschutzorganisationen neue Munition für Kampagnen gegen Sponsoren. Das Risiko eines Reputationsschadens durch die Verbindung mit dem Pferdesport steigt exponentiell. Für Marketing-Abteilungen wird es zunehmend schwierig, das Engagement zu rechtfertigen – besonders gegenüber einer jüngeren, kritischeren Zielgruppe.
Wir werden Sponsoren verlieren. Nicht heute, nicht morgen, aber mittelfristig werden sich Unternehmen zurückziehen, die es sich nicht leisten können, mit unserem Pferdesport assoziiert zu werden.
Die Mobilisierung der Gegner
PETA und andere Organisationen werden diese Regeländerung als Beleg für ihre These nutzen: Der Pferdesport ist unreformierbar und gehört abgeschafft. Und diesmal haben sie ein noch stärkeres Argument.
Der Sport hatte Jahre Zeit, proaktiv zu kommunizieren, Transparenz zu schaffen, moderne Trainingsmethoden zu zeigen, Tierschutz-Innovationen zu präsentieren. Stattdessen: Funkstille. Und jetzt, in dieser Schweigespirale, wird ausgerechnet eine Tierschutzregel gelockert.
Das eigentliche Versagen: Die fehlende Strategie
Die Blood-Rule-Änderung ist nicht das Problem – sie ist das Symptom eines viel tiefer liegenden Versagens. Der Pferdesport hat keine kohärente Kommunikationsstrategie, keine moderne Öffentlichkeitsarbeit, keine Vision für seine Zukunft in einer veränderten Gesellschaft.
Was wir bräuchten:
- Eine weltweite Imagekampagne, die echt ist, nicht clean und werblich und zeigt, wie moderner Pferdesport funktioniert
- Transparenz-Offensiven, die Stallungen, Training und Tierwohl dokumentieren
- Wissenschaftskommunikation, die erklärt, wie Pferde im Spitzensport betreut werden
- Nachwuchsarbeit, die den Sport auch außerhalb elitärer Kreise zugänglich macht
- Proaktive Medienarbeit, die positive Geschichten erzählt, bevor Skandale entstehen
- Antworten auf Social Media, statt den Hate still zuzulassen.
- Reiter:innen, die Vorbilder sind
- Ein Umdenken aller, die Pferdesport betreiben
Stattdessen bekommen wir: Regelanpassungen in Hinterzimmern, ohne ein Weiterdenken, was dadurch mit unserem Sport geschehen wird.
Fazit: Der Point of No Return?
Die Änderung der Blood-Rule mag sportfachlich begründbar sein. Kommunikativ ist sie ein Desaster. Sie wird das ohnehin ramponierte Image des Pferdesports weiter beschädigen, Sponsoren verunsichern und Gegnern neue Angriffsflächen bieten. Das wird weiter zu Liquiditätsproblemen bei großen Veranstaltungen führen, was weiter zu Nachwuchsproblemen führen wird, Ställe werden schließen – der Pferdesport, wie er mal war, für das große Publikum – das wird es nicht mehr geben.
Der Pferdesport muss verstehen: Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der sich eine Elite ihre Regeln selbst macht, ohne Rechenschaft abzulegen. Gesellschaftliche Akzeptanz muss erarbeitet werden – durch Transparenz, Kommunikation und glaubwürdiges Handeln.
Wenn wir diesen Wandel nicht vollziehen, wird der Pferdesport nicht an einer Regeländerung sterben. Er wird an seiner Unfähigkeit sterben, mit der Welt zu sprechen, in der er existiert.
Die Blood-Rule zu ändern, ohne vorher das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewonnen zu haben, ist nicht Reform. Es ist Selbstaufgabe.
Ruth M. Büchlmann
>> LIVESTREAM der FEI Generalversammlung
Die FEI Generalversammlung wird live für alle Mitglieder aus Hongkong gestreamt. Dazu ist keine Registrierung notwendig. Auf der Website (Direkt-Link folgt) kann die Abstimmung am 7. November ab 9 Uhr Hongkong Standard Time (7.11. 2 Uhr in Österreich) verfolgt werden.
Weiterführende Links:
>> Vorschlag Änderungen (S. 33)
>> FEI Blood Rule
>> Fällt die „Blood Rule“?
>> „Blood Rule“: Diese Meinung vertritt der OEPS
Dieser Text wurde von EQUESTRIAN WORLDWIDE – EQWO.net verfasst und ist keine Pressemitteilung. Das Kopieren des Text- und Bildmaterials ist nicht gestattet.