Hooforia statt St. Georg: Wenn aus kritischem Journalismus „konstruktive“ Hofberichterstattung wird

Ein Kommentar von Ruth M. Büchlmann
Die Pferdesportszene ist in Aufruhr. Nach 127 Jahren stellte der Jahr Verlag das traditionsreiche Magazin „St. Georg“ ohne Vorwarnung ein und kündigte renommierte Redakteure wie Chefredakteur Jan Tönjes. An dessen Stelle tritt nun „Hooforia“ – ein Magazin, das sich dem „konstruktiven Journalismus“ verschrieben hat. Was auf den ersten Blick wie eine moderne Weiterentwicklung klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als bedenkliche Kapitulation vor den Herausforderungen unserer Zeit.
Das Ende einer Ära – und wie es hätte anders laufen können
Dass Printverlage in Zeiten des Medienwandels schwierige Entscheidungen treffen müssen, ist unbestritten. Auch eine Zusammenlegung von Magazinen kann wirtschaftlich sinnvoll sein. Was jedoch nicht zu rechtfertigen ist, ist die Art und Weise: Ohne Ankündigung, ohne Respekt vor der mittlerweile 127-jährigen Geschichte des St. Georg und ohne Wertschätzung für die journalistische Arbeit der Redaktion.
Die empörten Reaktionen der Abonnenten, die uns via Mail und Kommenare erreichten, sprechen Bände. Sie fühlen sich hintergangen – und das zu Recht. Vertrauen, jahrzehntelang aufgebaut, wurde über Nacht zerstört. Dass viele nun das Abo für Hooforia ablehnen, überrascht nicht.
„Konstruktiver Journalismus“ – oder doch nur Marketing in neuem Gewand?
Der Jahr Verlag begründet sein neues Konzept mit dem Ansatz des „konstruktiven Journalismus“: lösungsorientiert statt konfliktbasiert, Best-Practice statt Kritik. Auf dem Papier klingt das durchaus sympathisch. Doch dahinter verbirgt sich ein fundamentales Missverständnis der journalistischen Aufgabe.
Journalismus, der sich davor scheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und kritische Fragen zu stellen, ist kein Journalismus mehr – er ist PR. Wenn ein Magazin nur noch die „guten Seiten“ zeigt und sich jeder kritischen Bewertung enthält, dann unterscheidet es sich nicht mehr von einer Hochglanzbroschüre der Branche.
Warum der Pferdesport kritischen Journalismus braucht
Gerade im Reitsport ist kritischer Journalismus unverzichtbar. Die Branche steht vor enormen Herausforderungen: Tierschutzdebatten, Dopingfälle, fragwürdige Trainingsmethoden, elitäre Strukturen. Diese Themen erfordern eine differenzierte, aber auch kritische Berichterstattung.
Ein Journalismus, der sich auf „konstruktive“ Lösungsvorschläge beschränkt, ohne die Probleme beim Namen zu nennen, wird diesen Herausforderungen nicht gerecht. Er verschleiert, wo Aufklärung nötig wäre, und beschönigt, wo Veränderung erforderlich ist.
Die Angst vor dem „Hate“
Hinter dem Konzept des konstruktiven Journalismus steht oft die Furcht vor negativen Reaktionen. Der Jahr Verlag möchte offenbar „keinen Hate“ mehr ernten, will weder für noch gegen Reiter und Sport Stellung beziehen. Diese Haltung ist verständlich, aber gefährlich. Journalismus, der sich aus Angst vor Kritik selbst zensiert, verliert seine Glaubwürdigkeit und seine gesellschaftliche Funktion. Die Aufgabe der Medien ist es nicht, es allen recht zu machen, sondern zu informieren, einzuordnen und zu hinterfragen.
Ein Verlust für den Pferdesport
Mit der Einstellung des St. Georg verliert der deutsche Pferdesport mehr als nur ein Magazin. Er verliert eine kritische Stimme, die über Jahrzehnte zur Meinungsbildung beigetragen hat. An ihre Stelle tritt ein Medium, das konstruktiv sein will, das dann wohl Konflikte scheut und Kontroversen aus dem Weg geht? Das ist geschäftlich „sinnvoll“ in einer Zeit, in der Redaktionen ums Überleben kämpfen und Kooperationspartner, die ebenfalls vom Pferdesport leben, brauchen. Das ist jedoch auch besonders bitter in einer Zeit, in der der Reitsport mehr denn je eine ehrliche Auseinandersetzung mit seinen Problemen benötigt. Statt diese anzugehen, wird nun ein Weg der Harmonisierung und Beschönigung eingeschlagen.
Kritik als Chance, nicht als Bedrohung
Konstruktiver Journalismus hat durchaus seinen Platz – als Ergänzung, nicht als Ersatz für kritische Berichterstattung. Ein Medium, das nur noch „konstruktiv“ berichtet, beraubt sich selbst seiner wichtigsten Aufgabe: der Kontrollfunktion. Der Pferdesport braucht Medien, die hinschauen, hinterfragen und auch unbequeme Wahrheiten aussprechen. Nur so kann sich die Branche weiterentwickeln und den gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden.
Hooforia mag optisch modern daherkommen, inhaltlich aber stellt es einen Rückschritt dar. Es bleibt zu hoffen, dass andere Medien den Platz füllen, den der St. Georg hinterlassen hat – mit dem Mut zur Kritik und dem Willen zur Wahrheit.
Die EQWO.net Redaktion sieht es als ihre Aufgabe an, weiterhin kritisch und unabhängig über den Pferdesport zu berichten – auch wenn das manchmal unbequem ist.
Weiterführende Links:
>> St. Georg-Team entlassen, Fusion mit Reiter Revue und Mein Pferd
>> St. Georg wird zu Hooforia: Jahr Verlag veröffentlicht neues Produkt
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