„Inzwischen bin ich dankbar“
Der Freispruch Jürgen Krackows und die Zeit zwischen Anklage und absoluter Entlastung
CSIO Linz-Ebelsberg (AUT) 2010; Pferd: Looping 33; Reiter, verantwortliche Person: Jürgen Krackow; Substanz: Flunixin; zugestellt: 03.06.2010; Dopingverfahren läuft. Der Fall sorgte für internationale Schlagzeilen. Jürgen Krackow, der sich immer für einen gewaltfreien und pferdeverstehenden Umgang mit den edlen Vierbeinern eingesetzt hatte, soll ausgerechnet sein Top-Pferd Looping gedopt haben. Beim Linzer CSIO im Jahr 2010 gab es eine anonyme Anzeige samt anschließender Dopingprobe gegen den gebürtigen Deutschen, der die österreichische Pferdeszene schon immer teilte. Seine Ritte mit dem halfterähnlichen Bosal galten dem einen als Meisterleistung der Gewaltfreiheit, dem anderen als perfekte Selbstinszenierung mit einer zwar nach Freiheit aussehenden, aber in der Einwirkung scharfen Zäumung. Und auch wenn Krackow beim CSIO in Linz nach langer Krankheitspause und Wiedergenesung von Looping mit diesem nicht als Siegreiter antrat, war er jemandem wohl schon lange ein Dorn im Auge.
Da war die Welt noch in Ordnung: Jürgen Krackow mit seinem berühmten auf Bosal gezäumten
Looping am Weg zum Grand Prix Sieg des CSI3* Pappas Amadeus Horse Outdoors im Jahr 2008
© R. Glaser
Die Sache war von Beginn an mysteriös. Auch Zusehern fiel bei den vier absolvierten Sprüngen auf, dass es dem Wallach sichtlich schlecht ging – an sich das Gegenteil von dem, was man üblicherweise mit unerlaubten Medikamenten bewirken will. Doch die Dopingfalle wurde gezielt gelegt und sie schnappte zu.
Der Fall ging schnell und war tief: vom berühmten Reiter zum Buhmann, vom eloquenten Sportler zum Opfer und dann die Stille, das Misstrauen, die Verzweiflung. Dazwischen waren das Wissen nichts falsch gemacht zu haben, die Suche nach Beweisen und die unermüdliche Recherche seines Anwalts Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann und nun – zwei Jahre danach – der Freispruch von allen Vorwürfen.
„Inzwischen bin ich dankbar“, meint der Salzburger heute und warum, das erzählt er REITSPORTNEWS im nachfolgenden Interview.
Dreamteam: Jürgen Krackow und Looping © R. Glaser
RSN: Vor bald mal zwei Jahren änderte sich Dein Leben komplett. Du warst des Dopings angeklagt und versuchtest verzweifelt zu beweisen, dass das nicht stimmt. Was ist damals im Mai 2010 passiert?
Krackow: Ich war damals auf zwei Turnieren gleichzeitig. Mit den Jugendlichen in München und parallel dazu sollte Looping in Linz gehen. Ich bin hin- und hergependelt und war an dem besagten Tag richtig spät dran. Looping war schon fertig und ich merkte am Abreiteplatz, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Ich hatte nur mehr sieben Pferde, bin eingeritten und dachte, dass er vielleicht drinnen wacher wird, weil er sich so müde anfühlte und draußen Fehler bekommen hatte, die er normalerweise nie macht. Drinnen sprang er aber ganz schlecht, man kann sagen eine Etage zu tief und ich habe mich noch geärgert, dass ich überhaupt eingeritten bin. Ich brach bei Sprung vier ab.
Mit der Angst, dass etwas nicht stimmt und er vielleicht eine Kolik bekommt bin ich raus und beim Ausgang sagt mir der Chefsteward „Irgendjemand mag sie wohl hier nicht. Wir haben eine anonyme Anzeige bekommen, sie wurden gesehen als sie ihr Pferd gedopt haben.“ In dem Moment wusste ich, dass ihm jemand etwas gegeben haben musste: Das Pferd springt nicht, dann bekomme ich eine anonyme Anzeige und weiß, dass ich nichts gemacht habe. Bei der Dopingkontrolle machte ich die Ärztin darauf aufmerksam. Sie kannte meinen Looping von anderen Kontrollen und wusste wie frech der ist und dass man normalerweise aufpassen muss, dass er einen vor lauter Übermut nicht zwickt. An dem Tag stand er aber komplett apathisch in der Box, mit dem Kopf nach unten. Ich wusste irgendetwas stimmt nicht und sie auch. Ich war erst der Meinung dass er vielleicht Beruhigungsmittel bekommen hat, weil er wie betäubt war. Diesen Verdacht habe ich bei der Blutabnahme geäußert und die Ärztin, die ja die körperliche Verfassung von Looping beschrieb, bestätigte das. Vor allem dass das Pferd absolut in keiner normalen Verfassung und schon gar nicht in einer leistungsfähigen war.
Dann ging das die normale Prozedur und als rauskam, dass Looping Finadyne im Blut hatte, war mir klar, dass das nur jemand gemacht haben kann, der sich in meinem und Loopings Leben auskennt. Finadyne ist ja normalerweise verträglich und schmerzlindernd, aber Looping hatte vor Jahren eine Quecksilbervergiftung, die u. a. völlig brüchige Hufe und dadurch starke Schmerzen mit sich brachte. Damals bekam er dieses Schmerzmittel über Monate und zwar täglich, sonst hätte er gar nicht mehr stehen können. Seither verträgt er dieses Medikament nicht. Doch dieses Wissen war ja nur einem kleinen Kreis zugänglich und die Person, die mir schaden wollte gehörte dazu. Nur wer das war, darauf bin ich ewig lange nicht gekommen.
RSN: Was passiert mit einem Sportler der in Verdacht gerät gedopt zu haben und selber weiß, dass er nicht gedopt hat?
Krackow: Genau das war meine Motivation im Prozess und ist es heute darüber zu sprechen. Wie schnell und vorzeitig die Leute über jemanden urteilen und was die Folgen davon sind. Es kann nicht sein, dass man bereits vor einem Urteil von der Bevölkerung oder den Mitsportlern abgeurteilt wird und einem somit die Existenzgrundlage komplett genommen werden kann.
RSN: Wie hast Du die Vorverurteilung zu spüren bekommen?
Krackow: Am Turnier hört man es hinten rum oder auch direkt „Warum reitet der denn überhaupt noch? Der gehört ja schon lange gesperrt! Der ist ja gedopt“. Oder auch „Na, was denn der jetzt wieder getrickst, dass alle anderen gesperrt werden und er kann immer noch reiten, obwohl er doch gedopt hat“.“ Es gab aber auch viele positive Resonanzen, Leute die an mich glaubten und wussten wie ich mit meinem Looping umgehe und sicherlich nichts tue, dass es ihm schlecht geht. Das war ja mein Argument von Anfang an. Dass ich mein Pferd unterstützen will, aber ihm sicherlich nichts gebe was es schädigt. Das haben mir viele geglaubt, andere wiederum dachten ich würde tricksten und die Unverträglichkeit vortäuschen.
RSN: Wie geht man damit um? Man weiß, jemand will einem schaden, aber man weiß nicht wer…
Krackow: Es ist ein ungemein schwieriger Zustand, wenn man auf einmal anfängt in seinem Umfeld, von dem man als Sportler ja leben soll, Verdächtigungen anzustellen. Das heißt, du machst an sich den Nährboden von dem du lebst, kaputt indem du rumläufst und Menschen verdächtigst, die es vielleicht hätten sein können. Man verdächtigt ja auch Falsche. Hab ich auch getan. Ich habe eine ziemlich lange Zeit komplett falsche Leute verdächtigt. Das prägt und macht viel kaputt. Wenn ich diese zwei Jahre gedanklich passieren lasse, bin ich wie eine gespaltene Persönlichkeit. Vom Grunde meiner Natur her bin ich ja offen und kommunikativ, aber so lange nicht zu wissen wer Dir schaden will und mit der Tatsache zu leben, dass Dir jemand willentlich schaden will, das hat bei mir tiefe Spuren hinterlassen.
Auch beruflich, denn als Profi in diesem Sport hat man eigentlich nur eine Chance wenn man sehr offen auf die Leute zugeht, Leute motiviert und mit Leuten den Sport teilen kann. Ich bin dazu seit diesem Erlebnis nicht mehr in der Lage. Ich bin der Meinung, dass jemand der unter Dopingverdacht steht an sich noch nicht mal eine Sperre braucht, denn der Verdacht alleine, macht ihn schon erfolglos. Da muss man schon sehr kaltschnäuzig sein, wenn einem das egal wäre.
Vom Beruflichen her war das alles existenzbedrohend. Es gibt Dir ja keiner mehr ein Pferd, egal ob Du verurteilt bist oder nicht. Nicht verurteilt zu sein, hieß in diesem Fall nichts anderes wie bereits den Doping-Stempel auf der Stirn zu haben, weil alle schon urteilten. Du bekommst keine Pferde mehr zum Reiten und auf der anderen Seite konnte ich ja auch nicht guten Herzens sagen „wissen sie ich bilde ihr Pferd aus, lassen sie uns gemeinsam etwas machen“, und auf einmal darf ich vielleicht acht Wochen später nicht mehr reiten. Das macht kein Mensch. Einsteller zogen ihre Pferde ab, neue kamen nicht. Die Situation ist wirklich existenzbedrohend. Ich habe ein Buch über gewaltfreies Reiten geschrieben, das wurde auch zwei Jahre nicht veröffentlicht. Ein Autor der sein Pferd quält passte da ja logischerweise nicht.. Also auf einmal lassen Dich die Leute einen fallen wie eine heiße Kartoffel.
RSN: Wie hast Du dann versucht zu beweisen, dass Dich keine Schuld trifft?
Krackow: Erst mal muss ich sagen, dass ich es ohne meinen Anwalt, Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann, nie und nimmer geschafft hätte. Er hörte von dem Fall, kannte mich und glaubte mir. Er recherchierte akribisch, trug alle Bausteine zusammen, arbeitete stets eng mit der juristischen Kommission der FEI zusammen und diese schaltete das in London ansässige Institut zum “Schutz der Pferde” (ECIU) ein. 2.000 Seiten umfasst der Akt, aber er wäre mit mir bis zum europäischen Gerichtshof gegangen. Das war eine unglaubliche Arbeit, die Durchhaltevermögen erforderte und das wäre mir manchmal fast ausgegangen.
Durch Dr. Lehmann habe ich auch viel gelernt, was ich vorher gar nicht wusste. Die Bewachung der Boxen ist zum Beispiel so eine Sache bei der wir Reiter davon ausgehen, dass der Veranstalter dafür verantwortlich ist. Beim Prozess wird diese Tatsache aber gar nicht berücksichtigt. Laut FEI ist jeder Reiter gesetzlich dazu verpflichtet, selbst Obsorge zu tragen, dass kein Dritter hingehen kann um dem Pferd etwas zu geben. Und das ist für den normalen Berufsreiter, der vom Sport lebt, unmöglich weil unbezahlbar und deshalb nicht machbar.
Oder auch wenn wir nachweisen konnten, dass Looping Finadyne absolut nicht verträgt und es ihm unendlich schlecht geht, wenn er es bekommen würde, so ist es dennoch auf der Liste der unerlaubten Mittel und ich bin damit haftbar, was ja komplett unlogisch ist. Es wird doch kein Reiter seinem Pferd etwas geben, was die Leistung verschlechtert. Im Rennsport gibt es den Begriff „Antidoping“. Man macht den Gegner langsamer um zu gewinnen. Aber bei uns geht man davon aus, dass die Pferde immer nur dann etwas bekommen, wenn es um das Besser-Sein geht und damit ist – egal ob das zutrifft oder nicht – immer der Reiter verantwortlich.
Das ist ein so langer und ermüdender Prozess, dass man manchmal überlegt die Schuld einfach auf sich zu nehmen, ja zu sagen und dann ist das wenigstens vorbei. Aber das war gegen mein Naturell. Wenn man weiß man war es nicht, dann zuzugeben dass man etwas getan hat, das ist schwierig und das motivierte mich am Ende wieder um weiterzukämpfen.
Dass dann rausgekommen ist, wer mir Böses wollte, war reiner Zufall, reines Glück. Ich machte eine Äußerung betreffend einer Person. Dann merkte ich, dass diese das gehört hatte. Ich hätte das ignorieren können, aber ich wollte es auch der Person direkt gegenüber äußern. Da hat sich ein wilder Streit entwickelt und dann ist etwas passiert, was mir ein Polizist, der ermittelte gesagt hat.“ Ein Täter will eigentlich, dass Du weißt dass er das war. Er will dich ja bestrafen, er will gar nicht im Anonymen bleiben. Er will an sich, dass Du weißt, dass er es ist, der dir eine mitgegeben hat.“ Und so ist es in diesem Streitgespräch auch passiert.
RSN: Was war das dann für ein Gefühl? Hast Du das in diesem Moment verstanden, was das bedeutet?
Krackow: Nein, ich war in diesem Moment wahnsinnig fassungslos und spürte irrsinnige Aggressionen. Denn auf einmal hatte ich ein Gesicht dazu. Ich wusste nun endlich wer mir den ganzen Mist eingebrockt hat und war im selben Moment hilflos, weil ich ja ebenso wie die Person dachte, dass uns niemand gehört hätte. Aber dem war nicht so, es gab Zeugen, die diesen Streit samt dem Outing gehört hatten.
RSN: Wie hast Du diese fast zweijährige Zeit beruflich erlebt und wo soll es nun hingehen?
Krackow: Ein ganz großer Faktor in meinem Leben waren immer Menschen die mich mochten und die mit mir gemeinsam etwas machen wollten. Wenn das einmal kippt, empfindet das die engste Umgebung natürlich auch bedrohlich. Das geht an die Grundfesten. Ich wollte zum Beispiel gar nicht mehr aufs Turnier. Ich war ja nie gesperrt, aber ich hatte wirklich eine Hemmung auf den Turnierplatz zu gehen, auf den Parkplatz zu fahren und da rein zu gehen. Ich habe dann noch ein paar Springen aus Wut im Bauch geritten – so um zu sagen „jetzt zeige ich es euch“. Aber die Turniere waren kein Spaß mehr, sondern schlimm.
Bei dem Projekt „Zeit für Pferde“ haben wir den Kids Sport, Willen, Werte gepredigt und natürlich kam dann von der Presse der Aufruf, was ich da als Dopingsünder wohl verloren habe. Das war rührend, dass die Kinder dort meinten, dass sie entweder mit mir oder gar nicht weitermachen wollten. Die Erwachsenen wollten natürlich nicht. Die hätten auch sehr gut ohne mich leben können. Für sie war es ganz einfach zu sagen „weg mit ihm und ein anderer her.“
Das alles distanzierte mich vom Sport, aber andererseits eröffnete es mir ganz neue Wege. Ich begann mit meiner Atlaslogie-Ausbildung in der Schweiz. Darüber sprach ich aber gar nicht, weil ich noch nicht mal den Mut hatte zu sagen, dass ich jetzt einen neuen Beruf erlerne. Die Diskussion, ob das einer Aufgabe gleich kommt, hätte ich nicht ausgehalten.
Nach meiner erfolgreich absolvierten Prüfung war ich erst mal unendlich froh und ich fühle auch keine Wut mehr. Das Schicksal hat es gut gemeint mit mir, dass ich mir ein komplett neues Standbein errichtet habe. Heute sitze ich hier und kann sehr vielen Menschen körperlich helfen, die schwere Leiden haben und die sind sehr dankbar, dass es meine Praxis gibt. Diese wäre aber ohne die Dopingkontrolle nie entstanden. Es ist für mich heute ganz anders. Vielleicht muss sogar mal Danke sagen, dass dieser Mensch so gehandelt hat. Aber die zwei Jahre waren fürchterlich.
Nun ist wieder eine neue Situation. Ich bin mit diesem Freispruch einfach überglücklich – auch weil es ein kompletter ist. Nicht mit irgendwelchen Einschränkungen, sondern ein ganz klarer Nachweis einer Sabotage. Das war mir wichtig und jetzt ist es mir ein Anliegen, dass die Leute auch darüber diskutieren. Aber nicht über meinen Fall sondern über all das, was wir zu Gunsten der Pferde aber auch der Reiter verbessen müssen. Dass wir Reiter gewisse Rechte für uns fordern, dass wir gemeinsam überlegen was wir ändern müssen um solche Situationen erträglich zu machen, dass wir uns gegen Reglements wehren, die es woanders gar nicht mehr gibt. Kein Finanzamt darf eine anonyme Anzeige akzeptieren. Man muss seinen Namen nennen. Es gibt nichts wo ich jemanden anonym anzeigen kann, außer in unserem Reitsport. Und das dürfen die Aktiven gemeinschaftlich nicht mehr akzeptieren. Dafür kann man diesen Prozess gerne hernehmen. Mit einer anonymen Anzeige kann jeder den anderen gezielt abschießen. Das darf es in der Zukunft nicht mehr geben.
Ich bin dankbar. Jetzt gibt es ein neues Leben für mich und meine Familie. Es gibt meine Praxis. Aber wir Reiter müssen gemeinsam etwas verändern damit es nicht umsonst war.
Quelle: RMB – ReitsportNews – Die Pferdesportagentur